Endlich – nach vielen Irrungen und Wirrungen ist der Heidefalter des Künstlerduos Lothar Frieling und Günter Nommsen sicher im Ostpool vor dem Heider Wasserturm gelandet.
Die gut besuchte Eröffnungsveranstaltung war ein voller Erfolg; viele Interessierte beobachteten die Installation des 6m großen Falters, der mithilfe eines Krans punktgenau zu Wasser gelassen wurde.
Sogar der NDR filmte mit der Kamera den gesamten Ablauf: Anfahrt durch die Stadt auf einem Trecker, Landung des Falters und den Ablauf der gesamten Eröffnungsveranstaltung mit einer Reihe von Rednern. (Samstag, 30. Juli, ab 19.30 Uhr im NDR “Schleswig-Holstein-Magazin”)
Ausführliche Infos gibt es auf der Heidefalter-Website: http://heidefalter.wordpress.com/
Eine ausführliche Bilddokumentation folgt in Kürze.
Meine kunstwissenschaftliche Einführung anlässlich der Landung des Heidefalters (gehalten am 30.6.2012):
“Die Heidefalter, von denen heute der erste aufgestellt wurde, sind das erste offizielle Gemeinschaftsprojekt der beiden Künstler B. Lothar Frieling und Günter Nommsen.
Man könnte sagen, dass der Aufstellung so einige Irrungen und Wirrungen vorausgingen. Es bedurfte einiger Modelle und Entwürfe und vieler kontrovers ausgetragener Diskussionen, um diesen Projekt endlich Wirklichkeit werden zu lassen.
Nun aber steht es hier – das chimärenhafte Wesen, das aufgrund seiner beeindruckend langen Beine wie eine Kreuzung aus einem verspielten Schmetterling und einer gemeinen Schnake anmutet.
Doch trotz seiner verfremdenden Insektenbeine ist der Falter stark an natürliche Vorbilder angelehnt und insgesamt doch beinahe als realistisch zu bezeichnen.
Atrophaneura Semperi, ein Schmetterling aus der Familie der Ritterfalter, hat z.B. für die Gestaltung der Flügeloberseiten dieses Insekts Pate gestanden; sein Verbreitungsgebiet umfasst Indonesien, Malaysia und die Philippinen. Er erreicht in natura eine Flügelspannweite von 10-15 cm.
Zu den Ritterfaltern gehören zahlreiche der farbenprächtigsten, beeindruckendsten, und vor allem: größten Schmetterlingsarten der Welt – und seit dem 30. Juni nun auch der allergrößte, nämlich der „magna lepidoptera locae desertae“, der große Heide-Falter.
Und während der realexistierende Heidefalter, also der, der in der Heide (und nicht in den Stadt Heide) umherschwirrt, klein und unscheinbar ist, so ist dieser sicherlich ein prachtvoller Repräsentant seines Namens und seiner namengebenden Stadt!
Hier ein paar Fakten:
Gefertigt wurde er in geschätzten 250-300 Arbeitsstunden aus nichtrostendem Edelstahl und einer UV-beständigen Spezialfolie.
Der Falter ist insgesamt über 6 m hoch und besitzt eine stattliche Flügelspannweite von ca. 2 m und ist 2,50 m lang. Bei einem Lebendgewicht von zweieinhalb Tonnen, bewegt er dennoch im Wind geradezu anmutig seine Flügel.
Für das künstlerische Team Frieling/Nommsen ist dies tatsächlich das erste, gemeinsame Kunstprojekt – obwohl sie bereits seit 1997 immer wieder zusammenarbeiten. Frieling ist sozusagen der künstlerische Ziehvater seines jüngeren Kollegen. Nommsen, ursprünglich Mechaniker, half ihm anfangs nur bei Schweißarbeiten, ist aber mittlerweile als eigenständiger Künstler tätig. Beide Künstler haben schon – unabhängig voneinander – Schmetterlinge als Kunstobjekte gefertigt, man denke beispielsweise an den Schmetterling Frielings in Lohe-Rickelshof. Nach einer längeren Phase der Ideenfindung und Diskussionen in und mit der Öffentlichkeit ist dieser Falter nun das Ergebnis dieses kleinen „Künstler-Kollektivs“:
Frieling, krankheitsbedingt leider nicht mehr in der Lage, schwere, körperliche Arbeiten selbst auszuführen, war in diesem Fall der Gestalter und Planer, und Günter Nommsen übernahm die handwerkliche sowie die freie, künstlerische Umsetzung.
Der jetzige Falter, aber auch später die gesamte Gruppe, ist so platziert, dass der Betrachter immer die freie Wahl hat, den Wasserturm oder die Skulpturengruppe allein oder als Gesamt-kunstwerk zu betrachten. Die Dominanz des Wasserturms, der zu Recht als Wahrzeichen der Stadt Heide gilt, soll durch die zierlichen Elemente der Falter herausgestrichen werden – hier sind es die jugendstilartigen grazilen Verzierungen am Flügelrand -. Historische Architektur und moderne Kunst sollen eine Unität werden – räumlich zwar getrennt, aber optisch von Jedem zusammenführbar.
Schmetterlinge oder Falter wurden deshalb als Motiv für die Skulpturen ausgewählt, weil sie in unserem Kulturkreis positiv besetzt sind. Selbst in der Verfremdung bleibt das Filigrane und Verspielte, das diese Insekten kennzeichnet, erhalten. Durch die extreme Überzeichnung der Beine wird deutlich, dass, wie schon erwähnt, auch andere Insekten für die Idee Pate standen.
Den Vergleich zu ziehen zwischen den überdimensionalen Spinnenskulpturen der Künstlerin Louise Bourgeoise und dem Heider Kunstwerk ist durchaus erlaubt und sogar gewollt.
Die französisch-amerikanische Bildhauerin (2010 verst.) gilt als eine der ersten Künstlerinnen, die installativ arbeiteten, d.h.: Sie arrangierte ihre Skulpturen bewusst in einem bestimmten, räumlichen Kontext. Objekt und umgebender Raum standen also stets in Zwiesprache miteinander. – Und so ist es ja auch vom hiesigen Künstlerteam beabsichtigt. -
Die andere Gemeinsamkeit ist diese:
Obwohl Spinnen für viele abstossend wirken, sind sie doch gleichzeitig auch Beschützerinnen und Weberinnen neuer Strukturen – auch in übertragener Weise.
Ähnlich zwiespältige Gefühle löst auch der Heidefalter aus: Schön und gefällig auf der einen Seite, bedrohlich auf der anderen Seite durch seine Größe und vor allem seinen überlangen Beinen mit der befremdlich-unangenehmen Assoziation, eine gigantisch große Stechmücke könnte sich auf einen stürzen.
Dem Betrachter wird bewusst, dass der scheinbar so zarte Schmetterling eigentlich eine mehrdeutige Interpretation zulässt. Allein seine Metamorphose von der hässlichen Raupe zum anmutigen, zerbrechlichen Falter ist Symbolik genug. So steht er symbolisch für die Auferstehung und die unsterbliche Seele, allerdings ebenso für die Flatterhaftigkeit von Gefühlen, für die Vergänglichkeit von Schönheit und leere Eitelkeit. Die psychoanalytische Traumdeutung sieht in ihm das Symbol für Befreiung und Neuanfang und schon im antiken Griechenland wurde der Gott des Schlafes, Hypnos, mit Schmetterlingsflügeln dargestellt. Oder man denke an den Schmetterlingseffekt aus der Chaosforschung, der besagt, dass selbst kleinste Ereignisse unvorhersehbare Folgen haben können.
Schließlich darf man dieses Fantasieinsekt auch als Mahnung sehen: Es setzt den Insekten, die wir täglich auf diesem Planeten ausrotten, ein Denkmal und erinnert daran, dass es andererseits robuste Insektenarten wie z.B. Kakerlaken sein werden, die die Menschheit überleben werden.
Abschließend noch ein paar Worte zu den beiden Schöpfern des „Heidefalters“:
B. Lothar Frieling wurde 1945 geboren; seit 1969 ist er als freischaffender Künstler tätig. Nach verschiedenen Stationen in Schleswig-Holstein und dem Rest der Welt, lebt er heute in Lohe-Rickelshof bei Heide (Dithmarschen/Schleswig-Holstein).
Er ist nicht nur Bildhauer, sondern ein ebenso hintersinniger wie virtuoser Maler und Zeichner. Gemeinsam ist allen Kunstwerken von Frieling, dass sie stets mehrdeutig zu verstehen sind und dass der Künstler mit ihnen eingefahrene Sehgewohnheiten der Betrachter mit einer Spur von Ironie aufbrechen will.
Bereits 1986 hatte der Künstler mit seiner spektakulären Kunstaktion in Schleswig „Die Würfel sind gefallen“ versucht, eindringlich zu veranschaulichen, dass die Menschheit in ihrer Hybris unseren Planeten schon nah an den Abgrund gebracht hat.
Im Schleswig-Holsteinischen Nordfriesland hat er seit 1989 seine sogenannten „Duftmarken“ hinterlassen; wer immer aber Duftmarken hinterlegt, der will damit ein deutliches Zeichen setzen und den Betrachter auffordern, sich nicht nur mit dem Kunstwerk allein, sondern sich auch mit dessen Umgebung – und in letzter Konsequenz – auch mit der eigenen Person auseinanderzusetzen.
Frieling ist wie ein moderner Till Eulenspiegel: Er hält der Welt – also uns – einen Spiegel vor. Lothar Frieling ist dabei sicherlich kein bequemer Künstler; auch seine Kunst ist nur selten gefällig und für die breite Masse geeignet – obgleich es gerade diese Masse ist, die er ansprechen will: die Betonköpfe – so der Name eines seiner Kunstwerke -, die „Ja-und-Amen-Sager“ und die, die schlafen, „während die Ordner der Welt geschäftigt sind!“ *
Günter Nommsen (* 1961) hat seit seinen ersten künstlerischen Selbstversuchen eine beachtenswerte Entwicklung durchlebt. Inzwischen stellt er ja auch in Einzelausstellungen erfolgreich seine Arbeiten aus.
Er bevorzugt als Arbeitsmaterial vor allem Metall; Metall in den unterschiedlichsten Legierungen und den unterschiedlichsten Stufen des „Verfalls“ – also von neu bis alt. Gerne kombiniert er seine Objekte mit Materialien wie Holz, Leder oder Stein, aber auch mit zufälligen Fundstücken, die ihn faszinieren und inspirieren: Metallschrott, Bruchstücke von Steinen, Glasscherben, Reste von Materialien, die für den normalen Betrachter nichtsagend sind.
Aber genau da liegt der kleine Unterschied zum Auge des Kreativen und dem, der eben nicht „sehend“ durch die Gegend läuft: Oft sind es genau diese kleinen unscheinbaren Gegenstände, die bei Nommsen sozusagen die zündende Idee liefern, was für ein Objekt oder eine Collage sich daraus entwickeln wird.
Günter Nommsen lässt sich leiten durch die Form, die Größe, die haptische und optische Qualität seiner Materialien. Um so arbeiten zu können, sind vor allem Spontaneität und Flexibilität gefragt, und ein stets waches Auge!
Und die Ergebnisse – die Skulpturen, Objekte und Collagen – verlangen auch dem Betrachter etwas ab: Nämlich das Denken einfach mal zur Seite zu schieben und sich unvoreingenommen auf etwas einzulassen, was auf den ersten Blick vielleicht befremdlich wirkt, auf den zweiten Blick aber oft Überraschendes offenbart.
Ich wünsche dem Heidefalter viele interessierte, kritische und begeisterte Besucher!”
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* Günter Eich: „Wacht auf!“
„Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für
euch erwerben zu müssen.
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit
der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“